11. September 2020

«Das Siegel war eine Art Selfie» [Die Vergangenheit des Selbstbeweises]

Cachelin
Joël Cachelin

Mit anderen Menschen zusammen zu leben und zu arbeiten, bedingt regelmässig den Selbstbeweis. Um Zweifel zu zerstreuen und Sicherheit zu schaffen, müssen wir unserem Gegenüber beweisen können, dass tatsächlich wir es sind. Das war in der Vergangenheit so und wird in Zukunft nicht anders sein.

«Um Zweifel zu zerstreuen und Sicherheit zu schaffen, müssen wir unserem Gegenüber beweisen können, dass tatsächlich wir es sind.»

Um den Selbstbeweis durch eine Reise in die Vergangenheit besser kennenzulernen, macht es Sinn, sich an seinen wichtigsten Elementen zu orientieren: Den Werkzeugen, den Trägern und den Boten.

Selbstbeweise der Künstler

Schon früh in der Vergangenheit war die Unterschrift neben Wappen und Siegeln ein Werkzeug[1], um sich selbst zu beweisen. Sie existierte in der Antike, verlor dann aber bis zu Beginn des Mittelalters ihre Bedeutung.

Eine tragende Rolle bei der Etablierung der Unterschrift spielten die Künstler[2]. Ihre Signatur garantierte einem Käufer, dass ein Bild tatsächlich vom Meister gemalt worden war. Wer unterschrieb, brachte seinen Stolz zum Ausdruck. Auch lange nach seinem Tod, sollte man seine Werke auf seine Person zurückführen können. Der Selbstbeweis war allerdings nur einer der Gründe, ein gemaltes Bild zu signieren.

«Wer unterschrieb, brachte seinen Stolz zum Ausdruck.»

Ebenso wichtig waren früher religiöse Motive. So konnten alle, die ein signiertes Bild in Händen hielten, für den Urheber beten.

Weiter hatte das Signieren pragmatische unternehmerische Gründe. In grossen Künstlerwerkstätten arbeiteten öfters Gehilfen mit. Die Unterschrift entsprach einer Qualitätsprüfung: Der Werkstattmeister war mit einer Arbeit zufrieden. 

«Die Unterschrift entsprach einer Qualitätsprüfung: Der Werkstattmeister war mit einer Arbeit zufrieden.»

Weiter ermöglichte es die Signatur, Bilder über Mittelmänner zu verkaufen. Künstler konnten ausserhalb ihrer Werkstatt an Interessenten gebracht werden – ohne dass der Künstler selbst anwesend sein musste.

Siegel als Entkoppelung von Person und Präsenz

Vor der Unterschrift war die besiegelte Urkunde lange die typische Erscheinungsform von schriftlich fixierten Rechtsgeschäften[3]. Der Selbstbeweis war gestempeltes Wachs. Als Kulturtechnik hatte sich das Siegel auf dem ganzen Planeten etabliert – wenn auch die genauen Verwendungszwecke an verschiedenen Orten der Welt etwas unterschiedlich waren.

In Europa versiegelte man nicht nur Briefe. Das Sigel kam auch bei der Authentifizierung von Waren zum Einsatz. Diese Funktion rückt das Siegel in die Nähe der heute so gängigen Marken. Das Siegel stand für Echtheit, Authentizität, Qualität.

Im Mittelalter, der Blütezeit des Siegelwesens, gab es einen engen Bezug von Siegel und Siegelträger. Das Siegel war eine Art Selfie – und deshalb besonders geeignet, den Willen der Abwesenden auszudrücken. Neben Geistlichen und Adligen hatten Städte, Ämter und sogar Unternehmen und Spitäler eigene Siegel.

«Das Siegel war eine Art Selfie – und deshalb besonders geeignet, den Willen der Abwesenden auszudrücken.»

Die stellvertretenden Personen wurden mit symbolträchtigen Dingen wie Kronen, Zepter oder Schwertern dargestellt. Im Hochmittelalter des 12. Jahrhunderts waren Fälschungen keine Seltenheit. Deshalb gab es entsprechende Sicherheitsbestimmungen. Zum Beispiel wurde empfohlen, den Siegelstempel mit mehreren Schlössern zu sichern.

Beweise im Briefverkehr 

Nicht nur bei Kunstwerken, sondern auch bei Briefen spielte der Selbstbeweis eine wichtige Rolle. Wer eine Botschaft erhielt, war auf Beweise der Echtheit angewiesen. Man musste sicher gehen, dass man nicht getäuscht wurde, wollte sicher sein, wer der Absender war und die Botschaft ernst gemeint.

In den Geschichtswissenschaften wird zwischen inneren und äusseren Merkmalen des Echtheitsbeweis unterschieden[4]. Die äusseren Beweise umfassen das beschriebene Material und das Layout. So dominierte im Mittelalter das Querformat. Zudem gab es Linien, um auf grossen Formaten sauber, das heisst gerade zu schreiben. Auch die Schrift zählt zu den äusseren Merkmalen.

Zu ihnen gehören weiter graphische Zeichen wie Monogramme. Diese verbanden künstlerisch die Anfangsbuchstaben des Vor- und Nachnamens, zum Beispiel einer Königin oder eines Bischofs. Zu den inneren Beweisen gehörten dagegen alle Merkmale, die man nicht mit Augen und Fingern beurteilen konnte. Man musste den Inhalt und dessen Struktur näher betrachten. Eine wichtige Rolle nahmen vordefinierte formelle und inhaltliche Textblöcke ein. Entsprechend bildeten sich im Briefverkehr[5] Spiel- oder eben Formregeln heraus. Hielt man sich nicht an die Regeln, riskierten Briefe als Fälschungen eingestuft zu werden. Innere und äussere Merkmale dienen HistorikerInnen bis heute als Hilfsmittel, um die Echtheit von Quellen zu überprüfen.

«Hielt man sich nicht an die Regeln, riskierten Briefe als Fälschungen eingestuft zu werden.»

Bedeutung der Boten

Es gab viele weitere Hilfsmittel, um die Echtheit eines Briefes zu beweisen. Dazu gehörten die bereits erwähnten Siegel oder die subscriptio – eine codierte Schlussformel am Ende eines geschriebenen Briefes.

Noch wichtiger als diese raffinierten Brieftechniken waren allerdings die Boten. Sie brachten die Briefe vom Verfasser zum Empfänger. Dabei dienten sie selbst als Echtheitsbeweis. Die Reputation eines Boten bestimmte massgeblich, wie glaubwürdig eine Botschaft war.

«Noch wichtiger als raffinierte Brieftechniken waren die Boten.»

Traf man auf eine lusche Figur, zweifelte man eher als bei einem bekannten Gesicht oder einem seriös wirkenden Boten. Zudem übermittelten die Boten eigentlichen Nachrichten häufig mündlich, während im Brief nur Nebensächlichkeiten standen. Diese Praxis schützte vor Zensur und Spionen.

Noch immer gehören Briefe und Papier zum Geschäftsalltag. In der heutigen, digitalisierten Welt sind diese Träger aber ein Medienbruch. Nur um rechtsgültig zu unterschreiben, schicken Firmen ihre Dokumente auf den Umweg über Drucker und Papier. Wirklich notwendig ist dies allerdings nicht mehr
Die handschriftliche Unterschrift wird mehr und mehr von der digitalen abgelöst: PDF hochladen, auf signieren klicken, mit dem Handy bestätigen, fertig. Und der Wandel wird weitergehen.

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Dr. Joël Luc Cachelin, Gründer der Wissensfabrik und einer der führenden digitalen Vordenker im DACH-Raum, warf für Skribble einen Blick in die Vergangenheit.

Dr. Joël Luc Cachelin

Das ist der zweite Teil der Reihe “Beweis mir, dass du es bist! Der Selbstbeweis als Kernelement einer funktionierenden Wirtschaft”. Lerne mehr zu den Grundlagen des Selbstbeweises (Teil 1) und zu dessen Zukunft (Teil 3).

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[1] Die folgenden Ausführungen basieren wesentlich auf dem Buch von Valentin Groebner: Der Schein der Person – Steckbrief, Ausweis und Kontrolle im Mittelalter
[2] Zur Geschichte der Unterschrift, Tobias Burg: Die Signatur – Formen und Funktionen im Mittelalter
[3] Andrea Stieldorf: Siegelkunde
[4] Als Einführung: Thomas Vogtheer: Einführung in die Urkundenlehre
[5] Zum Briefverkehr im Mittelalter: Artur Hoffmann: Zur Mittelalterlichen Brieftechnik

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