Der heutige Geschäftsverkehr kann ganz schön mühsam sein – besonders wenn man zig Formulare ausfüllen, unterschreiben und aufbewahren muss.
«Es ist nicht sehr mutig zu behaupten, dass unsere heutige Praxis des Ausdruckens, Unterschreibens und Scannens als Zwischenepoche in die Geschichte eingehen wird.»
An die Stelle der Medienbrüche und das unterschriebene Papier treten digitale Verträge. Nur noch selten wird dies bedeuten, von der Hand auf ein PDF zu kritzeln. Über kurz oder lang weicht das PDF digitalen Formularen. Browsererweiterungen füllen unsere Daten automatisch in die leeren Felder ein.
Zu gross sind auf Unternehmenssicht die Kosten und Mühen der Medienbrüche. Ausserdem gehen durch analoge Speicher viele Daten verloren. Doch die Digitalwirtschaft ist an Metadaten interessiert – in der Fülle der Daten werden Trends, Kundengruppen und unbefriedigte Bedürfnisse sichtbar. Was aber kommt nach der digitalen Unterschrift und warum ist der Selbstbeweis im Digitalen so wichtig?
Wenn Avatare auf Avatare treffen
Folgt man den digitalen Verheissungen, werden Augmented und Virtual Reality stark an Bedeutung gewinnen. Google und Apple arbeiten an intelligenten Brillen. Wir werden mehr Zeit in videospielähnlichen Welten verbringen, uns ganz selbstverständlich mit Robotern, Avataren und Chatbots unterhalten.
Einkäufe, Bürgerpflichten, Bewerbungsgespräche und medizinische Untersuchungen erledigen wir im Wohnzimmer. Virtuell werden wir Vorlesungen und Museen besuchen, Sex haben, Bewerbungsgespräche führen, Bankkonten eröffnen, Mietverträge unterschreiben, den Sitz unserer Firma verlegen.
Mit der Verlagerung der (Geschäfts)-Kontakte ins Internet steigt jedoch die Unsicherheit, wer unser Gegenüber ist. Mit wem unterhalten wir uns tatsächlich? Wem übermitteln wir brisante Informationen über unsere Gesundheit und unser Liebesleben?
Noch schwieriger wird das digitale Zusammenleben, wenn wir in virtuellen Welten als Avatare auf Avatare treffen. Auch das Böse wird digital. Man versucht uns online zu täuschen, zu überwachen, zu manipulieren, zu erpressen.
«Deep Fakes bezeichnen von künstlichen Intelligenzen (KI) gefälschte Fotos und Videos. Heute sind Promis von den Täuschungen bedroht, künftig könnte es uns alle treffen.»
Digitale Selbstbeweise
In dieser digitalen Zukunft werden wir uns öfter als heute selbst beweisen müssen – wenn wir mit jemandem sprechen, etwas kaufen, etwas unterschreiben.
Nicht nur beim Tindern und beim Herstellen einer Zahnspange (ja, auch Zahnärzte werden durch den Smile Direct Club digitalisiert) möchten wir sicher sein, wer unser Gegenüber ist.
«Niemand möchte dass eine halbschlaue KI in unserem Gebiss rumpfuscht.»
Genauso will unser Gegenüber Beweise sehen, dass wir es sind und man erwarten kann, dass wir die Rechnung bezahlen werden. Ohne Selbstbeweise werden wir die Möglichkeiten des Digitalen nicht realisieren. Wir würden nur zweifeln.
Selbstredend gilt das auch für den beruflichen Kontext. Was verschafft uns Gewissheit, wenn wir als digitale Nomaden auf den Lofoten einen Vertrag mit einem Deutschen Arbeitgeber abschliessen wollen? Wie können wir im Urlaub auf einer fernen Insel sicher sein, dass wir beim Unterschreiben eines Mobilfunk- oder Bootmietsvertrags nicht unser ganzes Vermögen an eine dubiose Organisation überschreiben?
Ein Anruf bei der Bank gibt Aufschluss: Der entsprechende Auftrag sei schriftlich eingegangen, mit der entsprechenden Unterschrift.
Diese Beispiele zeigen wie wichtig situative Selbstbeweise sein werden. Sie sind perfekt auf unseren Kontext angepasst und bestehen aus mehreren Sicherheitsstufen.
«Bequemlichkeit ist ebenso gefragt wie ein grösstmöglicher Sicherheitsstandard.»
Der Aufstieg der Bio-Marker
Zu diesen Elementen gehören diverse Bio-Marker, die sich an den einzigartigen Merkmalen unseres Körpers orientieren. Bereits heute entsperren wir unsere Smartphones mit unseren Fingern und Gesichtern. Auch die Stimme ist ein mächtiger Bio-Marker.
«Statt zu unterschreiben, sprechen wir kurz einen Satz ein.»
Für die Stimme als Selbstbeweis der Zukunft spricht zudem der Trend des Voice Computings. Statt mit unseren Händen bedienen wir die Computer dann mit unserer Stimme, wobei uns digitale Assistenten wie Siri und Alexa beim Navigieren durch den digitalen Raum unterstützen.
Andere spannende – zuweilen noch etwas futuristisch anmutende Bio-Marker sind die Art und Weise, wie wir auf der Tastatur schreiben oder über die Bildschirme unserer Smartphones streicheln.
«Auch unsere Venenmuster, Kniescheibe oder unser Körpergerüche werden als Identifikationsmerkmale der Zukunft diskutiert.»
Je mehr Bio-Marker kombiniert werden, desto sicherer wird der Beweis.
Die Suche nach neuen Bio-Markern begründet sich neben einem Technologiepush der involvierten Unternehmen durch die einfache Fälschbarkeit alter Beweisträger wie dem Fingerabdruck sowie die Sehnsucht nach Einfachheit. Man schaut das Handy an, es riecht uns und scannt unsere Umgebungsgeräusche – zack ist alles freigeschaltet. Doch nicht alle wollen diese digitalen Automatismen.
Vertrauensvolle Boten
Denn die Bio-Marker transportieren häufig mehr als eigentlich nötig ist – zum Beispiel verrät unsere Stimme, wie gestresst wir sind oder ob wir unter psychischen Krankheiten, zum Beispiel Depressionen, leiden.
Die digitalen Mängel werden viele Leute skeptisch machen, die Suche nach Alternativen vorantreiben, die analoge Gegenkultur stärken und den Bedarf an vertrauensvollen Boten verstärken. Wir wünschen uns Partner, die unseren Willen sicher von A nach B bringen – ohne unsere Botschaften mitzulesen oder weiterzuleiten. Zudem sollen sie nur überbringen, was wir tatsächlich kommunizieren wollen.
Wenn wir einen Mietvertrag unterschreiben, möchten wir nicht noch Informationen über unsere Gesundheit übermitteln.
«Zukünftige Arbeitgeber müssen nicht unbedingt wissen, ob wir schwanger oder depressiv sind.»
Dieses Misstrauen am Digitalen spricht für Anbieter, die sich als Boten des digitalen Zeitalters voll und ganz auf das digitale Unterschreiben, die Übermittlung unseres Willens, den Beweis unserer Person konzentrieren.
Vertrauen werden wir jenen Anbietern, über die positive Geschichten erzählt werden, die keine Skandale hinnehmen mussten, ihre Daten in Sicherheit haben und von Dritten für ihre Leistungen ausgezeichnet werden beziehungsweise ihre Prozesse immer wieder kritisch durch Dritte durchleuchten lassen.
-----
Dr. Joel Luc Cachelin, Gründer der Wissensfabrik und einer der führenden digitalen Vordenker im DACH-Raum, wagte für Skribble den Blick in die Kristallkugel.
Er dachte darüber nach, wie sich der Selbstbeweis in einer Zukunft von Augmented Reality, Avataren und digitalisierten Körpergerüchen verändern könnte – und auf was für Herausforderungen wir dabei stossen werden.
Das ist der dritte Teil der Reihe “Beweis mir, dass du es bist! Der Selbstbeweis als Kernelement einer funktionierenden Wirtschaft”. Lernen Sie mehr zu den Grundlagen des Selbstbeweises (Teil 1) und zu dessen Ursprüngen (Teil 2).